Weblog on steroids: Twitter als Vorbild

Der Microblogging-Dienst Twitter wird immer mehr zum Konkurrenten für meinen Blog. Soll heißen: Anstatt tiefgründig zu analysieren, gebe ich hin und wieder schnell was von mir, ohne viel nachzudenken, wenn möglich noch mit einem kurzen Linktipp – zu finden unter twitter.com/georgholzer. Die SMS-ifizierung schadet auch dieser Site, weil ich dadurch weniger blogge.

Aber es verändert sich mehr. Weblogs könnten demnächst dem gravierendsten Wandel seit ihrer Erfindung erfahren. Dank Twitter.

Was ist Twitter?
Die Site erlaubt kurze Einträge von max. 140 Zeichen Länge, ist aufgebaut wie eine Art Blog. Leser/Abonnenten – hier Follower genannt – bekommen die Inhalte per SMS, Website oder mit Hilfe spezieller Programme zugestellt. Jeder kann jedem followen, so entstehen unendlich viele, sich überlappende Kreise von Followern.

Twitter ist weit mehr als nur ein Dienst. Ich würde ihn gar als Kommunikations-Infrastruktur bezeichnen. Warum? Weil damit unendlich mehr möglich ist, als nur ein Anwendungszweck. Für beinahe jeden einzelnen Nutzer hat Twitter einen ganz anderen Zweck: Einmal ist es ein Chat, dann wieder ein Marketing- oder Hotline-Instrument und nicht zuletzt auch ein Mittel zur äußerst raschen Nachrichtenbeschaffung. Man muss es selbst ausprobieren, um das alles zu erfahren. Luca hat eine praktische Anleitung diverser Features geschrieben.

Aktuelle Entwicklungen:
Ohne Übertreibung kann man sagen, dass Twitter extrem viral ist. Auch wenn außerhalb der Valley- und Geek-Szene kaum wer davon Notiz nimmt … mehr als eine Million Nutzer (Stand: Ende März) sind schon etwas.

Bei einem einfachen Dienst gäbe es in Downtimes keine so argen Aufschreie – und Twitter ist oft down. Die Probleme beim Skalieren sind latent, die Downtime laut Pingdom war von Jänner bis März mit 37:16 Stunden die höchste aller größeren Social Networks. Zur Downtime der eigentlichen Site kommen noch gelegentliche Ausfälle von Schnittstellen – SMS, IM etc.

Twitter down

Weil der Dienst von so vielen Leuten als so wichtig angesehen wird, werden Lösungen gesucht. Die Rufe nach einer dezentralen, ausfallssicheren Version von Twitter werden immer lauter.

Dave Winer rief als einer der ersten danach — allerdings nur mit dem Ziel, seine Daten zu sichern, um sie im Falle einer Downtime abrufbereit zu haben. Ein genialer Vorschlag dazu kam von Chris Saad, der auch auf Techcrunch seinen Niederschlag gefunden hat: Eine völlig dezentrale und miteinander verwobene Microblogging-Plattform mit ähnlichem Featureset wie Twitter. Mehr dazu gibt’s auch am Podcast der Gillmor Gang (absolut hörenswert!).

Decentralized Twitter

Wie soll das gehen?
Funktionieren soll das wie mit Blogs auf Basis von WordPress. Jeder hat entweder einen eigenen Microblog/Tumblelog am Webserver installiert oder nutzt irgendeinen hosted Dienst. Das ist soweit kein Problem. Kompliziert wird es, diese Einträge an dezentrale Follower zu pushen. Hier könnten RSS und Instant Messaging-Schnittstellen wie XMPP (vormals Jabber) Abhilfe schaffen. Selbst Twitter-spezifische Features wie @Nachrichten, eine Public Timeline und der jeweilige Socialgraph ließen sich nachbilden. Eine detaillierte Beschreibung gibt’s bei Techcrunch.

Auf das SMS-Gateway müsste man verzichten, stattdessen könnten APIs, XMPP und RSS in Java-Anwendungen fürs Handy gepackt werden – genau so wie es sie jetzt schon für Twitter gibt. In der Diskussion bislang nicht angesprochen wurde die Auffindbarkeit von Nutzern und Content auf einer solchermaßen dezentralen Plattform.

Und warum überhaupt?
Es stellt sich die Frage, ob man eine Plattform wie Twitter überhaupt neu erfinden soll. Ganz einfach: Weil’s machbar ist, möglicherweise enorme Vorteile bietet und so Schwachstellen des Originals beseitigt werden könnten.

  • Weblogs: Was man mit Microblogging machen kann, ginge wohl auch mit ganz normalen Blogs. Es könnten die ganz neue Unterhaltungen entstehen, wenn man Möglichkeiten von Twitter und Weblogs verbinden würde – das reicht von Kommentaren via @Follower über Instant Messaging bis hin zur Public Timeline der Leser.
  • Unabhängigkeit und Portabilität: Klar, ich kann kein eigenes YouTube betreiben, aber kurze Text sind kein Problem. Mir wäre wohler, wenn ich über Content und Socialgraph frei verfügen könnte und die nicht in den Händen irgendeiner Firma wären.
    Klar: Man soll Content dorthin bringen, wo die Nutzer sind und diesen dezentral durchsuchbar machen. Aber auch dafür gäbe es mit Hilfe von APIs Lösungen.
  • Filtering: Ich kann für mich nicht sagen, Twitter mache mich produktiver. Das Verhältnis von Signal und Noise könnte gar kaum ärger sein. Nachrichten wie „Guten Morgen“, „Geh jetzt mützen“ oder „Kaffee trinken“ sind absolut entbehrlich, wenn es keine wirklich engen Freunde sind. Allerdings kommt von diesen Leuten auch wieder Sinnvolles.
    Es gibt zudem viele Redundanzen: Mich ärgern Tweets, die lediglich neue Blog-Einträge ankündigen. Ist es nicht so, dass die eigenen Follower ohnehin auch RSS-Abonnenten der jeweiligen Blogs sind?
    Ein besseres Filtering wäre auf jeden Fall wünschenswert.
  • Skalierbarkeit: Komplettausfälle könnten durch ein dezentrales System vermieden werden.

Das Original wäre insofern verwundbar, weil vieles bei Twitter ohnehin abseits der Websites passiert. Die API ist sehr offen, daher sind die Nutzer den Einsatz von SMS, Instant Messaging oder Drittanwendungen gewöhnt.

Die Zukunft:
Mike Arrington meint, es könnte bereits sehr bald OpenSource-Lösungen dafür geben. Man darf gespannt sein.

Und auch die Zukunft von Twitter selbst ist relativ klar: Microsofts wird es kaufen. In Redmond hat man jetzt volle Kassen und brauchen ohnehin „Juice“. Außerdem könnte Microsoft Hilfe beim Skalieren liefern. Außerdem hat der Software-Riese einen Ruf zu verlieren: Mit Twitter selbst könnte es bald bergab gehen, wenn es dezentrale Lösungen gibt.

PS: Ich weiß, der Volltext-Feed mach immer noch Probleme. Aber ich arbeite daran bzw. hoffe auf baldige Abhilfe.

6 Kommentare
  1. rolf
    rolf sagte:

    ich sehe eher einen trend zurück zum blog. keine lust auf diese mini messages. unmöglich teilzunehmen ohne ständig mitzulesen.
    twitter=produktivitätskiller. deswegen reduziert auf wenig aktivität und follower-aufnahme stopp…
    betrachten wir twitter neu in einem halben jahr, oder?
    microsoft und twitter? ich weiß nicht…

  2. schlagloch
    schlagloch sagte:

    Hallo!

    Geschichten braucht das Web. Wortspielerein ja, aber mit Hirn. Viele Twitter sind gehirnloses Zeug.

    Gruss schlagloch.

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