Österreich verlässt das CERN [Updated]

Gestern abend soll eine Gruppe von Physikern noch ein letztes Mal versucht haben, Österreichs Wissenschaftsminister Johannes Hahn (ÖVP) umzustimmen. Die Bundesregierung plant, die Mitgliedschaft beim Europäischen Kernforschungszentrum CERN per Ende 2010 zurück zu legen.

Noch ist es nicht öffentlich, aber aus guter Quelle vor Ort. Heute Abend oder morgen soll es bekannt gegeben werden.

[Update: Habe als kleiner Blogger um eine Stellungnahme beim BMWF angefragt, warte noch auf deren Antwort.]

Mittlerweile habe ich eine Stellungnahme vom BMWF erhalten, die allerdings lediglich auf eine Presseaussendung mit Sperrfrist um 18 Uhr verwies. Einzelne Online-Ausgaben heimischer Zeitungen hatten die Meldung schon kurz drauf: siehe Google News. Mittlerweile gibt es auch schon die erste politische Stellungnahme – vom grünen Wissenschaftssprecher Kurt Grünewald.

[Update 16:03 Uhr:] Und das Ganze könnte auch noch zum Koalitionsstreit werden. Wie man aus Wien hört, soll der VP-Wissenschaftsminister den Cern-Ausstieg nicht mit der SPÖ akkordiert haben. In diesen Minuten startet der Wissenschaftsausschuss. Da wäre ich jetzt gerne dabei …

Johannes Hahn auf Besuch im CERN (c) Cern

Erst am 11. September 2008 gratulierte Hahns dem CERN zum Start des Large Hadron Collider (LHC):

[…] „Ganz besonders freue ich mich über die starke österreichische Beteiligung an den verschiedenen Teilprojekten dieses größten Experiments der Wissenschaftsgeschichte!“

Dieser „historische Moment“, so Forschungsminister Hahn weiter, „ist ein eindrucksvoller Beweis für die Schlagkraft der Grundlagenforschung und der darin innewohnenden Bedeutung für die technologische Weiterentwicklung“. Hahn sieht sich daher in seiner Forderung nach einer stärkeren Dotierung der Grundlagenforschung bestärkt und verweist in diesem Zusammenhang nochmals auf die im Frühjahr 2008 erfolgte Mitgliedschaft bei der ESO (European Southern Observatory). „Österreich“, so Forschungsminister Hahn resümierend, „hat schon früh die Bedeutung des CERN erkannt und mittels eines gut dotierten Stipendienprogramms für ausreichenden österreichischen Nachwuchs in diesem Tempel der Physik gesorgt.“

Eine populistische Maßnahme in Zeiten von Budgetnöten und EU-Wahlkampf. Mit dem Ausstieg spart man sich den jährlichen Mitgliedsbeitrag von gerade einmal 23 Millionen Schweizer Franken (15,2 Millionen Euro). Andererseits nehmen die Regierungsparteien damit den Freiheitlichen die Wahlkampfmunition, die einem glauben lassen, in Genf würde am nächsten Tschernobyl gearbeitet oder gar an Kernwaffen geforscht.

Die Folgen für die heimische Wissenschaftsszene sind nicht absehbar, ist doch das CERN nicht die Brutstätte des Bösen, sondern das größte Physiklabor, das der Mensch je geschaffen hat.

Ein paar direkte Entwicklungen vom CERN, die mir aus dem Kopf einfallen (mehr hier):

  • Das WorldWideWeb
  • Der Kernspin-Tomograf
  • Grid Computing
  • Radiotherapie bei Krebserkrankungen

Natürlich kommen nicht immer direkte Spin-offs heraus. Grundlagenforschung ist leider allzu oft unsichtbar. Im Juni laufen die Experimente am LHC an. Hier soll nicht mehr oder weniger erforscht werden als die Frage, was Materie beim Urknall überhaupt entstanden lies. Ironie der Stunde: Wir waren zwar am Aufbau beteiligt,  von diesen Ergebnissen wird Österreich wohl nicht mehr direkt profitieren.

atlas

Meine Begeisterung über die „Urknall-Maschine“ kann man hier nachlesen. Ach ja: Bis vor kurzem hatte fast jeder einen Teilchenbeschleuniger zu Hause – in Form eines Röhrenmonitors oder -Fernsehers.

Von der Maßnahme wären übrigens auch einige heimische Forschungsprojekte wie MedAUSTRON betroffen, die eng mit dem CERN kooperieren. Nicht absehbar wären auch die Folgen für das Austrian Research Center Seibersdorf oder viele hochbegabte Studenten, die sich jedes Jahr beim CERN um Forschungsstipendien und -plätze bemühen. Hauptbetroffen von der Entscheidung der Politik wären übrigens das Institut für Hochenergiephysik der östereichischen Akademie der Wissenschaften oder das Atominstitut der Universität Wien.

Immerhin: 80 Prozent des einbezahlten Betrages gehen indirekt oder direkt wieder nach Österreich zurück – sei es in Form von Löhnen an österreichische Wissenschaftler am CERN oder in Form von Aufträgen an heimische Firmen und Institutionen.

[Update 16:40 Uhr:] Mittlerweile habe ich gehört, wie viele Personen das betreffen würde. 50 Österreicher arbeiten fix am Cern, 120 verdienen dort ebenfalls ihre Brötchen: Studenten oder Doktoranden. Macht in Summe 170 Personen. Und 50 Prozent des österreichischen Budgets geht in genau diese Personalausgaben.

Anstatt Wissenschaft zu fördern, wird ihr aus populistischen Gründen Geld genommen. Tu Felix Austria! Ein schwarzer Tag für Österreichs Wissenschaft.

15 Kommentare
  1. CEEA
    CEEA sagte:

    Vielen Dank für diesen wirklich guten Beitrag.
    Echt schade darum, aber in AT funktioniert manches einfach „anders“.

  2. gutsyheron
    gutsyheron sagte:

    Unglaublich

    Diese Grundlagenforschung kann nicht privatisiert werden, die Kohle muss vom Staat kommen.

    Nach all dem was Zeilinge geleistet und Innsbruck experimentell geschafft hatt ist das ein extremer Rückschritt für Schrödingers Heimat.

    Bin gespannt was mit dem Geld passieren soll. Wenn es zu Zeilinger oder Innsbruck wandert hätte ich damit weniger ein Problem, aber wenn es gänzlich aus dem Wissenschaftsministerium verschwinden………….

  3. Sosel
    Sosel sagte:

    Jahrelange finanzielle Leistungen Österreichs an den CERN, der Large Hadron Collider soll diesen Herbst seinen Betrieb aufnehmen, und Österreich verpasst die große Ernte in wenigen Jahren. Ich werde das Gefühl nicht los, dass die populistische Entscheidung unseres Wissenschaftsministers auf der Lektüre von „Angels & Demons“ beruht, ich kann sonst keinerlei Grund für diese Aktion erkennen…

  4. Roland
    Roland sagte:

    Helmut S. (@ojour) hat es via Twitter schön zusammengefasst und auf den Punkt gebracht:

    vor österreich ist nur ein land beim cern ausgetreten: jugoslawien 1961 — dafür sind jetzt slowenien, mazedonien mitglieder.

    #bananenrepublik #kurzsichtig

    lG,
    Roland

  5. Rauch Helmut em.o.Univ.Prof.Dr.
    Rauch Helmut em.o.Univ.Prof.Dr. sagte:

    Die Gerüchte verdichten sich, eine unabsehbare Blamage Österreichs steht bevor und das in einer Periode zunehmender Bedeutung von Forschung. Es geht um das Gerücht, dass Österreich von CERN, dem wohl bekanntesten Forschungszentrum der Welt, auszutreten gedenkt. Hier können wir als Österreicher und Europäer stolz sein dabei mitzumischen; so stammen unter anderem bereits zwei CERN Generaldirektoren aus Österreich und zahlreiche österreichische Wissenschafter und Studenten arbeiten am CERN. Mit der Inbetriebnahme des „Large Hadron Colliders“ (wegen eines Defektes etwas verzögert) sind noch heuer bahnbrechende neue Erkenntnisse über die Struktur der Materie zu erwarten und da wollen wir CERN verlassen? Das wäre eine Blamage ersten Ranges und würde das Ansehen unseres Landes mehr schädigen als es etwa die Schließung der Wiener Staatsoper tun würde. Gugging statt CERN wäre wohl der größte Schildbürgerstreich und ein großer Schritt in Richtung Provinzialität.
    Es bleibt zu hoffen, dass die Vernunft siegt und Österreich ein engagierter Partner von CERN bleibt und auch in Österreich die Voraussetzungen für eine verstärkte Nutzung dieses „center of excellence“ geschaffen werden.
    Betonen möchte ich noch dass ich perönlich nicht in die Forschungen am CERN involviert bin, aber als Physiker sehr wohl abschätzen kann welche fundamentalen Erkenntnisse dort geschaffen wurden und in Zukunft sehr wahrscheinlich noch geschaffen werden und wie uns die Welt darum beneidet. Dabei handelt es sich nicht nur um wissenschaftliche Erkenntnisse sondern auch sehr praktische Entwicklungen die unser tägliches Leben ständig beeinflussen.
    Mir bleibt die Hoffnung dass es sich nur um ein Gerücht handelt, denn persönlich kann und will ich nicht glauben, dass Minister Hahn ohne Kontaktaufnahme mit der betroffenen Community, der Österreichischen Physikalischen Gesellschaft, so einen Schritt ernstlich in Erwägung zieht.
    Helmut Rauch,
    z.Zt.Grenoble und München

  6. Norbert FRISCHAUF
    Norbert FRISCHAUF sagte:

    Ist schon klasse was da wieder von den Herren Hahn und Weselka ausgebrütet worden ist. Zuerst versemmelt man fast den ESO Beitritt und jetzt das.
    Ich arbeite zur Zeit im Joint Research Center Institute for Energy der Europ. Kommission in den Niederlanden und freue mich schon auf die morgigen Kommentare der Kollegen.
    Speziell weil wir ja alle daran arbeiten sollten die F&E Quote drastisch zu erhöhen um im internationalen Wettbewerb erfolgreich mitzumischen! 2006 hatte die EU gerade mal 1,8% des BIPs in F&E gesteckt (im Vgl. dazu waren die USA bei 2,6% und Japen bei 3.3%!). Nach der Lissabon-Strategie wollen wir ja die dynamischte wissensbasierte Gesellschaft sein – in Zahlen heißt das, dass wir 2010 3,0% F&E Quote schaffen wollen.
    Unser zuständiger Fachminister (ja, das ist der Herr Hahn!) wird auch nicht müde diese Zahlen bei jeder sich bietenden Gelegenheit herauszuposaunen, aber gleichzeitig kommt er mit so einem Vorschlag!
    Das Ganze erinnert ein bisserl an die Streiche des Till Eulenspiegels in Schilda. Weil man beim Rathaus vergessen hatte Fenster einbauen, war es drinnen stockdunkel. Eulenspiegel wusste Rat und schlug vor das Dach zu entfernen. Jetzt war es drinnen zwar hell aber im Winter auch sehr KALT.
    Ich frage mich was wir tun können, damit auch im Forschungsministerium ein PAAR Lichter aufgehen?
    liebe Grüße aus Petten
    Norbert FRISCHAUF

  7. Peter Schmid
    Peter Schmid sagte:

    Als pensionierter CERN Physiker lebe ich jetzt in Salzburg. Ich hatte das Glück, mit Mittelschulen Kontakt aufnehmen zu können, und habe einige Besuche von Professoren und Schulklassen zum CERN organisiert und begleitet. Die Reaktion auf die im CERN geleistete Grundlagenforschung, auf die technologischen spin-offs, die Ausbildungsleistung und die Aspekte der internationalen Zusammenarbeit waren fast durchwegs äusserst positiv.

    Dass sich Österreich nun von dieser höchst erfolgreichen europäischen Organisation verabschieden will, ist unglaublich – und dies ohne vorherige öffentliche Diskussion. Wie wird in diesem Land Politik gemacht ? Es wäre Zeit, dass sich die Verantwortlichen einer öffentlichen Debatte stellen.

    Für die Reaktionen der Professoren Thirring und Rauch bin ich dankbar. Ich hoffe sehr, dass weitere, ähnliche Stellungnahmen erfolgen.

  8. Chris
    Chris sagte:

    Ein großer Fehler den die Forschung wird die Zukunft
    bestimmen. Hier mitzumachen und zu investieren sollte
    Vorrang haben.
    Ohne neue Technologien wird die Menschheit langfristig nicht überleben
    (Klimawandel) etc.

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