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Medien: Transparenz ist die neue Objektivität

Medien fordern zu Recht von der Politik Transparenz und legen manchmal nicht einmal ihre Eigentumsverhältnisse offen. Wie weit die Transparenz bei manchen Medien gehen kann, beweist der Guardian ab jetzt.

Es war im Jänner 2000, als ich den Journalismus für mich entdeckte und im Wirtschaftsressort der Kleinen Zeitung anfing. Eine der ersten Dinge, die mir gesagt wurden: „Worüber in der Redaktion gesprochen wird, ist Geheimsache. Was morgen in der Zeitung steht, ist absolut vertraulich.“

An diesem Prinzip rütteln nicht nur die Online-Ausgaben der Zeitungen sowie Facebook oder Twitter heftig. Die Geheimniskrämerei wird sich ändern (müssen), Transparenz wird sogar bei den „Themen für morgen“ zum Alltag. Den Anfang machen der britische Guardian und die schwedische Zeitung Norran. Transparenz zum Selbstzweck bringt aber auch nichts. Warum machen das die beiden Zeitungen?

Erfahrung mit Transparenz in Schweden

Norran begann bereits 2009 damit, die tägliche Themenliste unmittelbar nach der Redaktionskonferenz mitsamt dem Sitzungsprotokoll online zu stellen. Tagsüber können sich Leser einbringen, die Themen im Chat diskutieren, Fragen dazu stellen und Tipps zur Recherche geben.

Für Norran-Chefredakteurin Anette Novak war das Experiment extrem erfolgreich: Man hätte so die Marke durch die Einbeziehung von Lesern stärken können. „Transparenz ist die neue Objektivität“, meinte sie im Juni in einem Interview mit dem Blog von Journalism.co.uk.

Montag startet der Guardian

Heute, Montag, öffnet der britische Guardian seine „Newslist“. In einem Versuch, ermöglicht der Guardian seinen Lesern – über die „Newslist“ und Twitter (Hashtag #OpenNews) – Kontakt zu den Journalisten, die an bestimmten Themen arbeiten. Anfangs sind die Ressorts Nationales, Internationales und Wirtschaft dabei. Exklusive Geschichten will auch der Guardian ebenso bis zum Druck geheim halten wie sensible Stories, die besonderen Schutz bedürfen.

Beim Guardian erhofft man sich Hilfe bei der Recherche sowie Ideen für Fragen bei Interviews. Es gäbe auch viele Experten, die ständig Berichte kritisieren würden. Nun könnten diese sich schon vorab einbringen.

Außerdem würde die Recherche solchermaßen selbst zur Nachricht werden. Die meistgeklickten Seiten wären beim Online-Guardian derzeit schon Liveblogs von Breaking-Events. Dabei  käme es nicht selten vor, dass in „brutaler Offenheit“ geschildert werde, was der bearbeitende Journalist noch nicht weiß oder ihn brennend interessieren würde.

Laut Dan Roberts vom Guardian sei die Recherche einer der interessantesten Teile der Arbeit des Journalisten und die sollte man nicht vor Lesern verstecken. Und in Zeiten, wo Journalisten ohnehin ein schlechtes Image hätten (Stichwort: Abhöraffäre von News of the World), sei Transparenz das beste Rezept zur Trendumkehr.

Transparenzprobleme

In Österreich ist das grundsätzlich auch nicht neu: Armin Wolf fragt seine Follower auf Twitter hin und wieder nach Fragen an seine Studiogäste. Allerdings ist Wolf damit die löblich Ausnahme unter den Austro-Journalisten. Die meisten würden soziale Medien und Netzwerke als reinen Broadcast-Kanal ohne jegliche Interaktion missverstehen. Wikis oder Etherpad sind leider für die meisten höchstens Fremdwörter.

Beim Guardian ist die Sache als temporärer Versuch angelegt. Sobald man bemerkt, zu viele Geheimnisse an Wettbewerber preiszugeben und bei Lesern auf taube Ohren zu stoßen, will man umgehend „die Stecker ziehen“. Man will auch genau darauf achten, dass Zwischenrufe von PR-Agenturen eine Geschichte nicht in die eine oder andere Richtung manipulieren können.

In Österreich kommen tausende weitere Probleme dazu: die Kommentartrolle auf den Zeitungs-Websites. Vielfach im Schlepptau politischer Parteien, kann man sich oft nur wundern, was durch sie so alles abgesondert wird. Da helfen auch Benimmregeln für respektvollen Umgang wie hier bei Narran vermutlich wenig.

Und dann gibt es noch (die mit Sicherheit auftauchenden) Drohungen alpenländischer Politiker, die mit dem Entzug von Regierungsinseraten versuchen werden, Geschichten aus dem Blatt hinaus- und hineinreklamieren würden.

Die Postdemokratie dankt Ernst Strasser

Der ehemalige EU-Abgeordnete Ernst Strasser wurde ziemlich rasch aus allen politischen Ämtern entfernt. Auf den Lobbying-Skandal folgte erst einmal große Aufregung. Die Transparenzoffensive aller Parteien scheint indes sehr schnell wieder eingeschlafen zu sein.

Was Österreichs Parteien und Politik-Kommentatoren ganz übersehen: Die Politik sollte dem einstigen ÖVP-Mitglied tiefste Dankbarkeit zollen!

Gestern Abend hatte ich ein langes und interessantes Gespräch, indem eine Aussage viel, die mir keine Ruhe mehr lässt:

„Die ÖVP war sehr wahrscheinlich nur deshalb auf Strasser sauer, weil dieser auf eigene Rechnung tätig war.“

Parteispenden sind das perfekte Lobbying-Vehikel. Man zahlt und bekommt. Wo ist bei Parteispenden der Unterschied zum Fall Strasser?

Gesetze für Parteispenden?

  • Warum spenden Firmen für Parteien? Weil sie lieb sind und bessere Politik machen als die bösen anderen?
  • Weshalb fördert der eine Verband die andere Partei? Weil das Geld dort besser aufgehoben ist als bei der Caritas?
  • Warum sollten Freiberufler Parteien etwas zukommen lassen? Damit die sich bessere Anwälte leisten können?

Gewollte Instransparenz

  • Warum wird um Parteispenden so eine Geheimniskrämerei betrieben?
  • Weshalb dürfen genau ausgerechnet jene (Intransparenz-)Gesetze schreiben, die sie vor sich selbst schützen?
  • Und die Frage aller Fragen: Wem nützt Politikverdrossenheit überhaupt? Der Politik! Weil sich Masse nicht mehr für das interessiert, was einige an Skadalen aufdecken.

Alle Parteien in diesem Land müssten dankbar sein, dass der an einer einzigen Person aufgehängte Lobbying-Skandal ihr gesamtes System schützt. Dies wird ihnen helfen, auch weiterhin ihren Platz in der Österreichischen Postdemokratie/Parteiendemokratur zu bewahren.

Ändern muss sich sich nichts, denn Österreichs Politiker und Parteien sind gewohnt, so etwas locker auszusitzen. Danke Ernst!

Kleines Wort-Ersetzungsspiel

Hier noch einmal die Videos der Redakteure der Sunday Times: Ersetzen wir doch das „I“ durch „We“ oder „My Party“.

Und hier der zweite Teil.