Die Zeit ist auf unserer Seite …

… des Atlantiks.

Seattler Post Intelligencer und Rocky Mountain News waren erst der Anfang. Das Time Magazin berichtet von zehn weiteren überregionalen US-Zeitungen, die heuer entweder aufhören zu existieren oder komplett online gehen. Selbst die große und ehrwürdige New York Times hat ernste finanzielle Probleme. Und zuvor (im Dezember) meldete die Tribune Company (Chicago Tribune, Los Angeles Times und andere) Konkurs an. Die Leserschwund- und Anzeigenkrise trifft alle Medien in den USA. Auch die ganz Großen und Print, wie es scheint, am stärksten.

Wer sich die Meldungen über das Zeitungssterben in den USA ansieht, dem mag das Grauen kommen. Auch wenn sich Verleger und Journalistenverbände redlich bemühen, das Ganze als US-Phänomen herunter zu spielen, kann man ihnen eines versichern: Das Web hat noch alles verändert und macht auch nicht vor Zeitungen halt.

Ich habe unlängst gleich zweimal (einmal mit einem Kollegen in der Firma und bei einem Vortrag im Presseclub) gewettet, dass es in fünf Jahren keine gedruckten Zeitungen mehr gibt. Und wenn, werden diese unerschwinglich sein.

Warum? Dieses dreiminütige Video sollte alles klar machen. Die Tatsachen sind dies- wie jenseits des Atlantiks die gleichen, das Tempo der Umwälzungen allerdings nicht.

Was bedeutet das für Medienhäuser?

Die Zeit ist eben auf unserer Seite des Atlantiks. Noch gibt es Zeit, das Ruder herum zu reißen. Noch ist das Zeitfenster offen, sich um digitale Distribution auf E-Readern zu kümmern und Web-Auftritte zeitgemäßer als bisher zu gestalten. Auch wenn sich die Medienmacher des Landes des Problems bewusst sind, frage ich mich, wo die Investitionen bleiben. Bei keiner großen österreichischen Tageszeitung sehe ich echte Neuerungen bei deren Online-Auftritten.

  • Wo bleiben APIs, wie sie der Guardian oder die New York Times hat?
  • Warum versteht in Österreich scheinbar niemand RSS? Würde es sonst nicht schon längst (werbefinanzierte) Fulltext-Feeds geben?
  • Warum hat keine Nachrichten-Website in Österreich (ATV ausgenommen) social-networking-ähnliche Features?
  • Wo bleiben mehr interaktive Flash-Grafiken? Warum nützt niemand das volle Potenzial des Webs?
  • Warum findet bei keinem großen Medienhaus des Landes eigene Webentwicklung statt? Warum wird alles ausgelagert? Sind nicht Software-Entwickler die Drucktürme der digitalen Zeit und werden immer mehr zum Kernkapital einer Content-Company? Ist die Online-Verbreitung von Inhalten nicht Kernkompetenz eines jeden Medienhauses? Wenn die Großen ihre Druckereien nicht auslagern, warum tun sie es bei den Entwicklern?
  • Es bedarf auch einer Auseinandersetzung mit neuen Quellen und alternativem Urheberschutz. Gerade die Tageszeitung von heute ist morgen schon alt und könnte ohne Probleme fürs Geschäftsmodell (mit Ausnahme der Fremdinhalte von Fotografen und Agenturen) unter Creative Commons (CC) veröffentlicht werden. Mehr Interesse für CC würde auch neue andere Möglichkeiten fürs Marketing bedeuten.
  • Die Mentalität des Wegsperrens von Inhalten muss gebrochen werden: Wer seine Videos nur auf der eigenen Seite veröffentlicht, darf nicht erwarten, dass diese dort gefunden werden, wo sich echte Nutzer aufhalten – in diesem Falle auf YouTube.

Gibt es einen Grund, dass es das alles nicht gibt? Ja. Geld.
Weil Verlage nicht adäquat in Relaunches investieren, liegen Potenziale brach. Und alte Geschäftsmodelle (Zeitungsinserate sind immer noch um Welten mehr Wert als Online-Werbung) werden so lange wie möglich am Leben erhalten. Man darf hoffen, dass es irgendwann nicht zu spät ist.

Was bedeutet das für Journalisten?

Newsroom der Washington Post, (cc) Burnt Pixel

Die Krise sollten viele zum Anlass nehmen, sich mit den neuen Medienrealitäten auseinander zu setzen. Wer stehen bleibt und jetzt nicht erste Gehversuche im Web 2.0 unternimmt, hat eine Garantie: die, dass man unsicheren Zeiten entgegen steuert.

  • Es brauch neuer Zugänge zu Geschichten. Wenn der Leser tags zuvor bereits die Nachrichten erfahren hat, braucht er keine Wiederkäuer am Morgen. Der Journalist von morgen heute muss vielmehr lernen, dem Leser die Welt besser zu erklären. Analytisches Denken und hintergründiges Wissen sind wichtiger denn je.
  • Neue Recherche-Techniken: Die Gefahr des Medien-Einheitsbreis wird mit jedem gekürzten Arbeitsplatz größer. Verleger sind aus Kostengründen bestrebt, Agentur-Inhalte zu bevorzugen. Ergebnis: Zeitungen werden einander immer ähnlicher, sie werden austauschbarer.
    Wer jedoch in der Lage ist, besser die immer größere Informationsflut zu filtern, hat gewonnen. Ebenfalls vorne ist derjenige, der abseits von APA & Co. recherchiert und sich Social Media zu eigen macht. Welcher Journalist ist schon gewohnt, Blogs als Ausgangsmaterial herzunehmen? Welcher heimische Journalist sucht Fotos auf Flickr oder bedient die Online-Redation mit Videos von YouTube? Wer stellt schon Fragen an seine Leser via Twitter? Wenige. Sehr wenige!
    Daten stehen zu fast jedem Gebiet zuhauf per Mausklick zur Verfügung. Statistik-Kenntnisse und das Wissen um Visualisierung wird immer wichtiger. Auch das sind Fähigkeiten, die sich viele der schreibenden Zunft erst aneignen müssen. Viele scheitern sogar an einer nur leicht komplexeren Google-Suche.
  • Erste Gehversuche im Web 2.0 sind dringend geboten!
    Es ist einfach, sich zurück zu lehnen, seine Geschichten wie bisher zu machen und sich auf den „automatischen“ Vertrieb zu verlassen. Kaum ein Journalist hat Ahnung davon, wie man selbst Reichweite gewinnt. Sich ins gemachte Nest zu setzen, wird nicht mehr reichen. Auch die Frage wie man mit Hilfe von Social Networks oder Microblogging einen „Hebel“ für seine Inhalte generieren kann, sollte interessieren.
  • Umgang mit Feedback lernen: Wer heute in einer Redaktion schreibt, bekommt kaum Feedback. Im Web ist das anders – der Umgang mit „digtalen Leserbriefen“ in Form von Kommentaren will jedoch gelernt sein.
    Journalismus wird es immer geben – auch im Web. Aber schlechter Journalismus wird gerade durch das Web viel schneller offen gelegt.

Da draußen gibt es neue Medienrealitäten. Bis dato wurden alleine in den USA heuer 6237 Journalisten gekündigt. Wer das nicht macht, endet vielleicht in auf einer Karte wie dieser, nur dass die dann europäische Kündigungen enthält.

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Was bedeutet das für den Leser?

Der Medienkonsument ist Hauptprofiteur, weil ihm mehr Information und Unterhaltung geboten wird denn je. Durch Social Media erhält er zudem auch ein weit größeres Meinungsspektrum … auch wenn es immer weniger Zeitungen gibt.

Allerdings muss er auch kritischer werden und häufiger hinterfragen. Je prekärer die Lage des einen oder anderen Medienhauses ist, umso eher die Wahrscheinlichkeit, dass die eine oder andere Information keine Information ist. Die Vermischung von bezahlten und redaktionellen Inhalten wird zunehmend schlimmer. Auch bei Qualitätsmedien. Die Krise verschlimmert das noch.

Und für werbetreibende Unternehmen?

Zunehmend wird es für sie schwieriger, zu ihren Zielgruppen durchzukommen. Die ganz Jungen lassen sich über Tageszeitungen sowieso nicht mehr und zunehmend schwieriger auch durch TV und Radio erreichen. Das Problem dabei: Selbst Werbeagenturen sind ihrer Zeit hinterher und wissen oft nicht, mit neuen Gegebenheiten umzugehen.

Die Hilflosigkeit macht nicht vor „Brouhahas“ in Social Networks oder mit Medien wie Blogs oder Podcasts halt. Da hilft auch nur eines: dazu lernen. Die Krise nutzen, um Qualifikationen aufzubauen.

Vor diesem Hintergrund profitiert auch Social Media, wie eMarketer unlängst erhob. Vielleicht gibt es ja einmal ein echtes Geschäftsmodell für Blogs & Co. Das würde den Wandel in der Medienbranche allerdings nur noch weiter beschleunigen …

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8 Kommentare
  1. «MM»
    «MM» sagte:

    Ich werde mir künftig erlauben, auf diesen Eintrag hier hinzuweisen, wenn es darum geht, einem Journalisten wohlwollendes (!) Feedback zu geben. Bislang nämlich gelte ich damit immer als „Journalisten-Basher“ – derweil wär‘ genau das Gegenteil meine Intention.

    Sehr, sehr schade finde ich es, daß „die Journalisten“ (die, die ich meine), Leserrückmeldungen nicht Ernst nehmen. Zitat eines Krone-Schreiberlings in Tirol: „Was glauben Sie eigentlich, warum ich hier den Job mache? – Weil ich der beste bin!“

    Tja – also… mhm. Ist klar.

    Ich bin der Meinung, Herr Wolf (ZIB2) ist einer der besten. Und der „gibt sich mit dem gemeinene Volk“ sehr wohl ab, nutzt Twitter als Crowd-Sourcing-Tool, um sich inspirieren zu lassen für seine tägliche Arbeit.

    Das ist der nächste Punkt: Journalisten erhalten Geld für das, was sie tun – nämlich (meist) anderer Leute Leben zu verschriftlichen.
    Wie moralisch verfallen muß man sein, wenn sich diese Leute dann beim Journalisten rückmelden – und der sie dumm sterben läßt, weil „die Geschichte“ ist ja draußen, und jetzt hinter mir die Sintflut?

    Nicht unerwähnt soll bleiben, daß es löbliche Ausnahmen von diesem Sittenbild gibt. Und genau diese Ausnahmen sind es, die ich meinerseits mit Infos beliefere, so ich denn mal welche haben sollte. 🙂

  2. gast
    gast sagte:

    ein gutes beispiel für die veränderungen ist die tageszeitung DER STANDARD

    der online-standard macht mittlerweile gewinne und kauft gesellschaftsanteile des print-standards zusammen.

    was bedeutet, dass die klassische printausgabe schön langsam zur tochtergesellschaft der Bronner Online AG wird

  3. G_B
    G_B sagte:

    Ja Georg, da hast du Recht. Redaktionen müssen die „online“ Welt lernen – heute können nur wenige spez.- online Redaktionen das erreichen was die Print Kollegen erreichen. Darum muss hier viel Qualifikation betrieben werden – wenn den Budgets dafür da sind…..

    Aber auch die Mediaberater, vulgo Anzeigenverkäufer, müssen umdenken – Pull statt Push – das ist nicht einfach und geht nur in enger Kooperation mit der Redaktion. Da liegt der Hund begraben – haben die eh und jeh zusammengearbeitet? (eher weniger)

    Keine leichte Aufgaben für diese Teams

    Und – auf der anderen Seite des Teichs (da in USA) ist das Problem sicher nicht der Leser der keine Zeitung mehr kauft – es sind die Anzeigenkunden, die haben gelernt das sie im Netz mehr Reichweite mit gleichem Budget erreichen und das auch noch nachhaltiger….

  4. Stefan Widitsch
    Stefan Widitsch sagte:

    Georg schreibt:“Die Vermischung von bezahlten und redaktionellen Inhalten wird zunehmend schlimmer. Auch bei Qualitätsmedien. Die Krise verschlimmert das noch.“

    Ich sehe ein weiteres Problem bei allen österreichischen Zeitungen. Es gibt eigentlich faktisch keinen Nachrichtenjournalismus mehr, sondern größtenteils Meinungsjournalismus. Nachrichten sollten meiner Meinung nach nicht von der Meinung des Schreibers beeinflusst werden. Dafür gibt es z.B. Glosse, Kommentar etc.

    Und in diesem Bereich ist Herr Wolf vom ORF für mich kein großer, denn der schafft es definitiv nicht, sich selbst hinten anzustellen…

    Die einzige Zeitung, die mMn noch Nachrichtenjournalismus liefert ist die NYT. Hier ist klar gekennzeichnet, wenn ein Autor seine eigene Meinung einarbeitet.

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