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Euroweb. Oder: Wie man nicht dümmer reagieren kann

Update (21.1.2011, 19:50): Scheinbar ist die Domain nerdcore.de wieder im Besitz von René Walter. Mehr in einem Interview in der Futurezone.

Nerdcore,  mit  670.000 Unique Clients im November 2010 einer der größten Weblogs Deutschlands, ist offline. Die Domain Nerdcore.de wurde vor im Jänner gepfändet.

Hintergrund ist ein Rechtsstreit mit der Firma Euroweb Internet GmbH. Der Blogger René Walter schrieb wörtlich von „Arschgeigen“ über das in Düsseldorfer und Salzburg ansässige Unternehmen. Auf die Abmahnung im letzten Sommer folgte ein Gerichtsurteil. Weil Walter die Strafe nicht rechtzeitig bezahlte, wurde die Domain nun gepfändet. Weitere Hintergründe zur aktuellen Sache gibt es bei netzpolitik.org.

Auch sonst soll sich Walter laut Gerichtsprotokoll wenig positiv über die Firma ausgelassen haben:

Walter ist sicher auch Nachlässigkeit vorzuwerfen. Weil er seine Mutter pflegte, soll er selten zu Hause gewesen sein und scheinbar noch seltener die Post geöffnet zu haben.

Mit der Abmahnung, dem Gerichtsurteil und nun mit der Domain-Pfändung hat sich die Euronet Internet GmbH aber sicher keinen guten Dienst getan. So wird mir berichtet, dass die Firma peinlich genau darauf achtet, was im Netz über sie publiziert wird. Einen der größten Blogs Deutschlands anzugehen, ist so gesehen wohl mehr als dumm.

Warum man überhaupt solch schwere Geschütze aufgefahren hat, wundert mich. Von einer Arschgeige oder mehreren Arschgeigen zu sprechen, ist mit Sicherheit nicht fein.

Die Geschäftspraktiken von Euroweb

Die Firma baut Websites „für den Mittelstand“ und hostet diese auch. Immer wieder kamen aber die – möglicherweise zwielichtigen – Geschäftspraktiken auch in Österreich ins Gespräch. Momentan sind zwei Gerichtsverfahren anhängig und eine einstweilige Verfügung verbietet Euroweb die scheinbar gebräuchliche Methode der Geschäftsanbahnung.

Martin Sablatnig, Jurist bei der Wirtschaftskammer Kärnten erklärt:

Nach unseren Informationen läuft es immer nach dem gleichen Schema ab. Der Unternehmer bekommt einen Anruf. Demnach wolle Euroweb als deutsche Webagentur in Österreich Fuß fassen und sei auf der Suche nach Referenzprojekten.
Der überraschte Unternehmer habe darauf weiter erfahren, dass Euroweb ihm kostenlos eine Website baue.
Bei einem Vertretertermin solle auch gleich der Vertrag unterzeichnet werden.

Sablatnig: „Dass gratis sehr teuer sein kann, wird erst im Nachhinein klar.“ Denn die Website selbst ist zwar gratis, das Hosting dafür koste jedoch „monatlich 150 Euro und mehr“, der Vertrag würde für 48 Monate laufen.

Rechnen wir durch: 150 Euro x 48 Monate = 7200 Euro

Eine einfache Website (WordPress installieren und ein paar Plugins) kostet normalerweise ein paar Hundert Euro, das Hosting kann mit fünf bis sechs Euro im Monat angesetzt werden.

Rechnen wir wieder: max. 800 Euro für Erstellung + 6 x 48 Euro für Hosting = 1088 Euro für vier Jahre

Ergibt eine Ersparnis von über 6000 Euro.

Sablatnigs Ausführungen decken sich mit mehreren Berichten in Deutschland. Hier berichtete etwa der Westdeutsche Rundfunk (WDR):

Alleine bei der Wirtschaftskammer Kärnten habe es laut Sablatnig im Vorjahr 50 konkrete Beschwerden zu Euroweb gegeben. „Fairerweise muss man sagen, dass es wohl auch zufrieden Kunden geben dürfte“, erklärt Sablatnig. Die Dunkelziffer derer, die stillschweigend das teure Angebot bezahlen, dürfte sicher hoch sein. Sablatnig hat dafür auch eine Erklärung: „Viele Unternehmer wissen gar nicht, was eine Website kostet. Sie wissen nur, dass sie im Internet etwas tun müssen. Und wenn da ein Anruf kommt und eine schnelle Lösung präsentiert, wird der eine oder andere schnell unterschreiben.“

Bei Interventionen der Wirtschaftskammer sei Euroweb häufig kulant gewesen und hätte die Unternehmer aus dem Vertrag entlassen. Vermutlich auch, um juristische Schritte zu vermeiden.

Zwei anhängige Verfahren in Österreich

„In Österreich gibt es ein Verbot der telefonische Kontaktaufnahme bei Unternehmern, weil man hier allzu schnell überrumpelt wird“, erklärt Hannes Seidelberger vom Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb. Auch bei ihm hätten sich bereits rund 50 Geschädigte gemeldet. Die Praktiken von Euroweb sieht Seidelberger kritisch: „Seriöse Firmen schicken Angebote per Post und geben Zeit, alle Bedingungen durchzulesen.“ Bei Euroweb wäre das nicht der Fall gewesen, Unternehmer wären häufig zu einer schnellen Unterschrift gedrängt worden.

Der Schutzverband hat 2009 ein Verfahren gegen Euroweb angestrengt, das Hauptverfahren wird derzeit am Landesgericht Salzburg verhandelt. „Darin geht es um die Geschäftspraktiken von Euroweb“, erklärt Seidelberger. Im Herbst 2009 wurde eine einstweilige Verfügung gegen Euroweb erwirkt. Darin heißt es, dass das Unternehmen von unerbetenen telefonischen Kontaktaufnahmen ebenso Abstand nehmen solle wie von günstig erscheinenden Angeboten und dem aggressiven Drängen auf Unterschriften.

Das war im Herbst 2009. In der Wirtschaftskammer weiß man aber von Fällen, wo Euroweb im ersten Halbjahr 2010 in Kärnten noch so geworben habe. Zu dieser Zeit sollte ihr dies durch die einstweilige Verfügung allerdings bereits streng untersagt gewesen sein.

Das zweite Verfahren läuft derzeit am Bezirksgericht Salzburg. Euroweb will dort eine Aufhebung dieser einstweiligen Verfügung der verhängten Beugestrafe erreichen.

Gute Ratschläge an Unternehmer

Aus dem Bauch heraus würde ich sagen: Finger weg von Euroweb! Es gibt eine ganze Menge heimischer Web-Agenturen, die das mindestens auch können und noch dazu viel günstiger sind.

Fix sind jedoch zwei Punkte, die sowohl Sablatnig als auch Seidelberger hinweisen:

  • Keine Telefongeschäfte machen und sich nie zu einer Unterschrift drängen lassen.
  • Immer alle Vertragsdetails genau anschauen und sich über Preise für Websites informieren.

Wie geht es weiter?

Die Domain nerdcore.de wird wohl bei Ebay landen, ihr Wert wäre laut Schätzungen – basierend auf der Versteigerung von Basicthinking von Robert Basic – mit rund 70.000 Euro anzunehmen. Ob der für Euroweb erreichbar ist, darf mehr als bezweifelt werden.

Den Versteigerungserlös will Euroweb spenden – jeweils zu 50 Prozent an die deutsche Wikimedia und den Verein Freischreiber. Blöd nur, dass beide Organisationen dieses Geld nicht annehmen wollen.

In Summe ist das ein gewaltiges PRDisaster für Euroweb, dessen Ergebnisse sich wohl noch sehr lange bei Google & Co. finden werden. Spötter möchten meinen: Ist der Ruf einmal ruiniert, pfändet sich’s ganz ungeniert. Schade, wie hier gehandelt wird.

Stellungnahme von Euroweb

Auf die warte ich noch … Hier meine Fragen, die ich an André Nagel, Pressesprecher der Euroweb Group, übermittelt habe. Telefonisch war er leider mehrfach nicht erreichbar. Sobald ich Antworten bekomme, werden sie hier angehängt.

  • Wie hoch war die Strafe für Herrn Walter? Wann kam die letzte Ratenzahlung bei Ihnen an?
  • Kam es in der Vergangenheit zu telefonischen Kontaktaufnahmen in Österreich, obwohl das verboten ist?
  • Wurden Unternehmer zur Unterschrift gedrängt, wie einige das meinen?
  • Wenn Wikimedia oder Freischreiber das Geld nicht wollen … wer bekommt’s?

Update: Eine Stellungnahme von Euroweb wird kommen. Geschäftsführer Christoph Preuß soll sich demnächst bei mir melden.